Die Materie ist extrem kompliziert und beschäftigt weltweit unzählige Wissenschaftler. In den letzten drei Jahrzehnten hat es eine wahre Explosion an Erkenntnissen über die physiologische Bedeutung der Fettsäuren gegeben.
Allgemeines
Als Fettsäuren bezeichnet man Kohlenwasserstoffe, die eine Carboxylgruppe (-COOH) enthalten. Sie ist für den sauren Charakter zuständig. Die einfachste Fettsäure ist die Essigsäure mit der Formel CH3-COOH. Während man bei der wasserlöslichen Essigsäure noch einen intensiven, in der Tat säuerlichen Geruch wahrnehmen kann und eine schwach ätzende Wirkung, wie etwa bei der Auflösung von Kesselstein zu beobachten ist, sind Fettsäuren mit langen Kohlenwasserstoffresten nahezu geruchlos und mit Wasser nicht mehr mischbar. Sie verhalten sich wie Fette und Öle. Stearinsäure (C17H35-COOH) fühlt sich wie ein Wachs an und ist der Grundstoff für die Kerzenherstellung. Dagegen ist die Ölsäure mit einer gleichlangen Kohlenwasserstoffkette ein Öl. Sie unterscheidet sich von der Stearinsäure lediglich durch die geringere Anzahl an Wasserstoffatomen (C17H33-COOH). Da sie nicht mehr die maximal mögliche Anzahl von Wasserstoffatomen enthält, bezeichnet man sie als "ungesättigt". Sie besitzt stattdessen eine "Doppelbindung" und gehört zur Omega-9-Familie.
Stearinsäure: CH3-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-COOH
Ölsäure (rot: Doppelbindung): CH3-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH=CH-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-COOH
Die Lage der ersten Doppelbindung in einer Kette bestimmt die Zugehörigkeit zu einer Fettsäure-Familie. Dabei zählt man vom Ende (Omega), also von der CH3-Gruppe her. Bei der Ölsäure befindet sich die Doppelbindung am neunten C-Atom. Auch die zweifach ungesättigte Linolsäure (C17H31-COOH) ist wie die meisten ungesättigten Säuren flüssig.
Linolsäure (rot: 2 Doppelbindungen): CH3-CH2-CH2-CH2-CH2-CH=CH-CH2-CH=CH-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-COOH
Die erste Doppelbindung beginnt am sechsten C-Atom. Linolsäure ist daher ein Mitglied der Omega-6-Familie, während die dreifach ungesättigte Alpha-Linolensäure zur Omega-3-Familie (erste Doppelbindung am dritten C-Atom) gehört.
Alpha-Linolensäure (rot: 3 Doppelbindungen): CH3-CH2-CH=CH-CH2-CH=CH-CH2-CH=CH-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-COOH
Fettsäuren der Omega-6- und Omega-3-Familien sind für den Menschen essenziell. Das heißt: Ohne sie kann der Organismus nicht leben, da er sie nicht selbst herstellen kann. Er muss sie über die Nahrung aufnehmen.
Essenzielle Fettsäuren
Linolsäure und Alpha-Linolensäure sind im Pflanzenreich weit verbreitet. Sie werden in tierischen Organismen durch Mitwirkung von Enzymen in andere Säuren umgewandelt. Dabei entstehen unter anderem aus Linolsäure die Gamma-Linolensäure und die Arachidonsäure sowie aus Alpha-Linolensäure die Eicosapentaensäure. Gamma-Linolensäure kann man beispielsweise auch durch Boretsch- und Nachtkerzenöl, Arachidonsäure durch Fleisch- und Eicosapentaensäure durch Fischverzehr aufnehmen.
Für die Fettsäuren werden häufig Abkürzungen benutzt: C18:2 n-6 ist synonym mit Linolsäure und bedeutet: 18 C-Atome, 2 Doppelbindungen, Omega-6. Die Abkürzung für Alpha-Linolensäure ist C18:3 n-3: 18 C-Atome, 3 Doppelbindungen, Omega-3.
Am Fettsäure-Stoffwechsel, der in bestimmten Sequenzen erfolgt, sind nacheinander immer die gleichen Enzyme beteiligt:
(1) Delta-6-Desaturase: Das Enzym führt an Position 6 der Fettsäurekette (von der Carboxylgruppe aus gezählt!) eine Doppelbindung ein. (2) Elongase: Das Enzym fügt in die Kohlenstoffkette 2 C-Atome ein und verlängert sie damit. Die Verlängerung findet an der Carboxylgruppe statt. (3) Delta-5-Desaturase: Einführung einer Doppelbindung an Position 5 (4) Elongase (siehe oben) (5) Delta-4-Desaturase: Einführung einer Doppelbindung an Position 4
Omega-6-Sequenz: Linolsäure (C18:2 n-6) → (1) → Gamma-Linolensäure (C18:3 n-6) → (2) → Dihomo-Gamma-Linolensäure (C20:3 n-6) → (3) → Arachidonsäure (C20:4 n-6) → (4) → C22:4 n-6 → (5) → Docosapentaensäure (22:5 n-6)
Omega-3-Sequenz: Alpha-Linolensäure (C18:3 n-3) → (1) → C18:4 n-3 → (2) → C20:4 n-3 → (3) → Eicosapentaensäure (C20:5 n-3) → (4) → Docosapentaensäure (C22:5 n-3) → (5) → Docosahexaensäure (C22:6 n-3)
Omega-9-Sequenz (nicht-essenziell): Ölsäure (C18:1 n-9) → (1) → (C18:2 n-9) → (2) → (C20:2 n-9) → (3) → Eicosatriensäure (C20:3 n-9) → (4) → C22:3 n-9 → (5) → C22:4 n-9. Ölsäure wird über Pflanzenöle aufgenommen oder im Körper aus Stearinsäure gebildet.
Metabolismus
Die einzelnen Säuren werden in Phospholipiden (Membranlipide) zwischengespeichert und erreichen dort teilweise beachtliche Konzentrationen. So befinden sich z. B. in epidermalen Phospholipiden rund 9% Arachidonsäure. Aus den Phospholipiden - vor allem Phosphatidylcholin - werden die Säuren durch die Phospholipase A2 zum Teil selektiv freigesetzt, wenn das Enzym durch Hormone, Neurotransmitter oder exogene Reize aktiviert wird. Unmittelbar darauf werden Kaskaden hochaktiver Stoffe gebildet: Aus den C20-Säuren entstehen die Eicosanoide und aus den C22-Säuren die Docosanoide. Sie steuern hormonartig in kleinsten Konzentrationen Gerinnungsfaktoren, Blutdruck, Blutfette (Triglyceride), Entzündungen, Fieber, Schmerz, Gefäßmuskulatur, Schwangerschaftsverlauf und Immunantworten (Allergien, Asthma etc.).
Körperzellen erzeugen Eicosanoide mithilfe sauerstoffübertragender Enzyme (Oxygenasen) oder zum Teil auch nicht-enzymatisch:
Gut und schlecht?
Viele Funktionen der Reaktionsprodukte sind heute noch unbekannt; neue Substanzen werden immer wieder entdeckt. Zum Teil konkurrieren sie untereinander und zeigen dabei antagonistische Effekte. Daher ist es so wichtig, in der Ernährung auf die Ausgewogenheit der Fettsäuren zu achten. Aus Omega-3-Säuremangel resultieren z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, rheumatische Erscheinungen und Hautkrankheiten wie Schuppenflechte und Neurodermitis. Grob unterscheidet man zwischen verschiedenen Serien von Eicosanoiden.
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Serie 1 aus Dihomo-Gamma-Linolensäure Beispiel: Prostaglandin E1 hemmt Entzündungen.
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Serie 2 aus Arachidonsäure Beispiele: Prostaglandin E2 unterstützt Entzündungen und führt zu Vaso- und Bronchodilatation; Prostaglandin F2 bewirkt Vaso- und Bronchokonstriktion.
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Serie 3 aus Eicosapentaensäure Die Metabolite konkurrieren mit der Serie 2 und senken z. B. das Risiko für Herzinfarkte und Arteriosklerose.
Zuweilen wird in diesem Zusammenhang über gute und schlechte Eicosanoide geschrieben. Diese Vereinfachung wird aber der Bedeutung dieser Stoffe nicht gerecht. Neben der Konkurrenz der Serien gibt es auch innerhalb der Säure-Sequenzen Abhängigkeiten. So hemmt eine hohe Linolsäure-Aufnahme aus Pflanzenölen die Arachidonsäurebildung. Viele Menschen mit Neurodermitis weisen einen erhöhten Linolsäurespiegel auf. Daraus zu schließen, Linolsäure sei für diese Personengruppe nicht förderlich, ist fragwürdig; denn viele Neurodermitiker können durch einen Defekt der Delta-6-Desaturase Linolsäure nicht zu Gamma-Linolensäure umsetzen. Dadurch reichert sie sich naturgemäß an. Andererseits kann dieser Personengruppe mit Gamma-Linolensäure geholfen werden, wobei die topische Applikation am effektivsten ist. Dies gilt auch für auf die Haut aufgebrachte Linolsäure, die zur Wiederherstellung der gestörten Hautbarriere dient. Wenn Linolsäure in der Ernährung fehlt, wird die Haut trocken und schuppig. Bei Menschen, die unter Psoriasis leiden und einen sehr niedrigen Alpha-Linolensäure- sowie einen hohen Arachidonsäure-Spiegel aufweisen, bessern sich die Symptome mit Fischöl. Die wenigen Beispiele zeigen, wie kompliziert das Zusammenspiel der essenziellen Säuren ist. Docosahexaensäure und die aus ihr resultierenden Docosanoide, zu denen Neuroprotectine, Resolvine und Docosatriene gehören, üben wichtige Funktionen in Nerven- und Hirnzellen sowie der Netzhaut aus. Muttermilch enthält im Gegensatz zur Kuhmilch Docosahexaensäure, die in den Milchdrüsen produziert wird. Es wird angenommen, dass sie die Hirnentwicklung von Säuglingen entscheidend beeinflusst. Wie die Eicosapentaensäure kommt die Säure in Kaltwasser-Seefischen wie Hering, Lachs und Makrele vor und wird in deren Fettgewebe in Triglyceriden und Phospholipiden gespeichert.
Auf und in der Haut ist alles anders
Ganz anders ist die Situation, wenn man essenzielle Fettsäuren nicht über die Nahrung, sondern über die Haut aufnimmt. Sie werden - wenn es sich um topisch applizierte Öle handelt - durch epidermale esterspaltende Lipasen oder durch Hydrolyse (Reaktion mit Wasser), die durch Feuchte und Wärme verstärkt wird, freigesetzt. Im Unterschied zu anderen Körperzellen, vor allem den universell arbeitenden Leberzellen, entstehen hier nachfolgend nur wenige Hauptmetabolite. Linolsäure, Alpha- und Gamma-Linolensäure werden ohne Änderung der Fettsäurekette verwertet oder durch die epidermale 15-Lipoxygenase (15-LOX) zu ungesättigten Hydroxyfettsäuren mit entzündungshemmenden Eigenschaften aufoxidiert. Im Einzelnen sind die folgenden Prozesse von Bedeutung:
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Linolsäure ist ein Substrat für das Ceramid I, in das es ohne Veränderung der Fettsäurekette eingebaut wird. Dadurch kann sich die Hautbarriere regenerieren.
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15-LOX peroxidiert Linolsäure zuerst zur 13-Hydroperoxy-9,11-octadecadiensäure (13-HPODE), die anschließend sofort zur entzündungshemmenden 13-Hydroxy-9,11-octadecadiensäure (13-HODE) reduziert wird.
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Analog verläuft die Reaktion mit 15-LOX bei Gamma-Linolensäure, aus der über die Hydroperoxy-6,9,11-octadecatriensäure (13-HPOTrEg) die entzündungshemmende 13-Hydroxy-6,9,11-octadecatriensäure (13-HOTrEg) entsteht.
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Alpha-Linolensäure wird durch 15-LOX über 13-Hydroperoxy-9,11,15-octadecatriensäure (13-HPOTrE) zur 13-Hydroxy-9,11,15-octadecatriensäure (13-HOTrE) umgesetzt. Dies erklärt die starke antiinflammatorische Wirkung von Leinöl, einem früher häufigen Bestandteil von Verbänden. Heute setzt man es zweckmäßig als wässrige Nanopartikel-Dispersion ein.
Essenzielle Fettsäuren und entsprechende Pflanzenöle lassen sich daher sehr gut zur Hautpflege bei entzündlichen Hautstörungen wie Neurodermitis und Schuppenflechte nutzen. Vermutlich ist auch die hohe Wirksamkeit der Linolsäure bei Akne auf die antiinflammatorische 13-HODE, die Bildung von linolsäurehaltigem Ceramid I (Beseitigung der Verhornungsstörung) sowie die Verflüssigung des Sebums zurückzuführen.
Arzneimittelnebenwirkungen
Zusammen mit den Nahrungsfetten entscheiden individuelle endogene und exogene Faktoren, ob sich Körper und Haut in einem gesunden Gleichgewicht befinden. Nach grundlegender Analyse und Abstimmung von Ernährung und Hautpflege lassen sich viele Hautprobleme ohne Arzneimittel entscheidend verbessern oder ganz eliminieren. Viele Arzneimittel verhindern durch Hemmung der beteiligten Enzyme gezielt die Bildung einzelner Fettsäuremetabolite und lindern dadurch z. B. Schmerzen, Entzündungen oder beeinflussen die Gerinnung. Zwangsläufig entfallen dadurch andere Funktionen der nun fehlenden Fettsäuren und es kommt zu typischen Arzneimittelnebenwirkungen. Über Arzneimittelnebenwirkungen, von denen die Haut betroffen ist, wurde kürzlich in KOSMETISCHE PRAXIS 2009 (2), 11-14 berichtet. Entsprechende, oral eingenommene Arzneimittel hemmen systemisch im ganzen Körper die gleiche Reaktion. Da Eicosanoide meist in der unmittelbaren Umgebung, in der sie gebildet werden, organspezifische Reaktionen auslösen, kommt es nicht selten lokal zu völlig unterschiedlichen Arzneimittelnebenwirkungen. Die lokale Applikation topischer Medikamente in Form von Salben und Tinkturen ist deshalb bei Hautkrankheiten selektiver und meistens effektiver. Dies trifft auch für kosmetische Rohstoffe zu, die z. B. die entzündungsauslösende 5-Lipoxygenase hemmen; siehe BEAUTY FORUM 2008 (9), 114-116.
Dr. Hans Lautenschläger |